Inneres Gebet

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Gott im eigenen Inneren finden –
die Spiritualität bei Teresa von Avila

1. Hinführung

Geschiedene und besonders standesamtlich Wiederverheiratete sind mit der Kirche uneins geworden.
Jesus hat die Kirche eingesetzt; sie ist der geheimnisvolle Leib Christi.
Sind wir mit der Kirche uneins, kann auch unser Verhältnis zu Gott gestört sein.
Teresa von Avila, spanische Mystikerin aus dem 16.Jahrhundert, Heilige des Karmelordens, Ordensreformatorin und - gemeinsam mitCaterina von Siena - erste Frau, die zur Kirchenlehrerin erhoben worden ist, sagt uns dazu etwas unsäglich Tröstliches: Wir brauchen Gott nicht irgendwo zu suchen, wir können ihn in unserem eigenen Inneren finden! Erlebt in uns !
Diese Erfahrung möchte ich auf den abschließenden Seiten dieses Buches meinen geschätzten geschiedenen und wiederverheirateten Leserinnen und Lesern als überaus trostreiche, ja beglückende Glaubenswahrheit mitgeben.

Um eine meditative Verinnerlichung der folgenden Zeilen zu erleichtern, verzichte ich auf ausführliche Reflexionen und Literaturangaben inmitten des Textes und lasse Teresa immer wieder selbst sprechen.

2. Was ist das innere Gebet?

Teresa beruft sich in ihrer Lehre über das „innere Gebet“ auf Christus selbst, wenn er in seinem Hohepriesterlichen Gebet Gott Vater bittet, es mögen „...alle eins sein, wie wir eins sind: ich in ihnen und du in mir, damit sie vollendet seien zur Einheit“ (Joh. 17,23). Er hat sogar verheißen, in den, der ihn liebe, werde die heilige Dreifaltigkeit eingehen: „Wenn einer mich liebt, wird er an meinem Wort fest halten. Mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und in ihm Wohnung nehmen.“ (Joh. 14,23)

Genau um das geht es Teresa: Dass wir Gott in unsselbst finden können. Dieser Gedanke kann besonders jenen sehr viel Trost geben, die mit der Kirche mehr oder weniger in Konflikt leben müssen! Wir brauchen also nur in uns selbst hinein zu gehen, um Gott zu begegnen. Und diesen Vorgang nennt Teresa „inneres Gebet“. Sie sagt dazu:

Wer mit der Übung des inneren Gebetes noch nicht begonnen hat, den bitte ich bei der Liebe Gottes, sich dieses Gut nicht entgehen zu lassen!

Ich betone, dass viel daran gelegen ist, mit großer Entschlossenheit zu beginnen. Auch müsst ihr das Vertrauen haben, dass ihr aus mutig geführtem Kampf als Sieger hervorgehen werdet!

Teresa charakterisiert das innere Gebet:

Das innere Gebet ist meiner Ansicht nach nichts anders als ein Gespräch mit einem Freund, mit dem wir oft und gerne allein zusammen kommen, um mit ihm zu reden, weil wir sicher sind, dass er uns liebt.

Sie ist der Ansicht, dass alle zum inneren Gebet finden können, nicht nur außergewöhnlich begnadete MystikerInnen. Es klingt besonders ermutigend, wenn sie meint:

Wenn ihr nach ihm verlangt, so werdet ihr ihn finden. Seinerseits wird Gott es nicht unterlassen, sich von uns finden zu lassen.

Mit dem inneren Gebet zu beginnen, ist es nie zu spät. Die Geduld zahlt sich aus:

Gott ist so groß, dass es wohl wert ist, ihn ein Leben lang zu suchen.

3. Das Innewohnen Gottes

Nun wollen wir uns das größte und schönste Bild ansehen, das Teresa vom Innewohnen Gottes in uns hinterlassen hat.

Da bot sich mir dar, was ich nunmehr sagen und als Fundament gebrauchen möchte: nämlich unsere Seele als eine Burg zu betrachten, die ganz aus einem Diamant oder einem sehr klaren Kristall besteht und in der es viele Gemächer gibt, gleichwie im Himmel viele Wohnungen sind.

Denken wir uns also, dass diese Burg viele Wohnungen hat, von denen einige oben gelegen sind, andere unten und wieder andere seitwärts, und dass sie ganz innen, in der Mitte all dieser Wohnungen, die allerwichtigste birgt: jene, wo die tief geheimnisvollen Dinge zwischen Gott und der Seele vor sich gehen.

Vielleicht ist es an dieser Stelle wohl tuend, kurz inne zu halten, um die trostreiche Verheißung eines so vertraulichen Umganges Gottes mit uns in uns nachhallen zu lassen!

4. Gewissenserforschung und Demut als Fundamente

Teresa, die selbst zu größtmöglicher Vereinigung mit dem Herrn gefunden hat, gibt uns in ihren Schriften eine ausführliche Wegweisung, wie wir das innere Gebet pflegen und darin fortschreiten können.
Vorerst betont sie, dass wir täglich und regelmäßig die Begegnung mit Gott pflegen sollen.
Sie weist uns an,

... jeden Tag eine nicht zu geringe Zeit in innigster Vertrautheit mit dem Herrn zu verbringen.

Dabei hält sie es für besonders förderlich, stets mit einer kurzen Gewissenserforschung zu beginnen, die uns unsere Kleinheit und Unwürdigkeit vor dem liebenden, unendlich barmherzigen Gott zum Bewusstsein bringen soll. Obwohl eine solche Haltung heute eher „unmodern“ ist, hält sie Teresa für ausschlaggebend dafür, mit dem uns innewohnenden Gott in näheren Kontakt zu treten: es ist die Haltung der Demut Gott und den Mitmenschen gegenüber, die es zu vertiefen gilt. Sie sagt dazu zu ihren Schwestern:

Das ganze Bauwerk christlichen Lebens hat die Demut zum Fundament, und wenn diese nicht wirklich und tatsächlich vorhanden ist, so wird der Herr – schon um euretwillen – nicht sehr weit in die Höhe bauen wollen, damit nicht alles einstürzt. Um gute Fundamente zu bekommen, müsst ihr danach streben, die geringste von allen zu sein und die Dienerin aller, und ihr müsst schauen, wie und wodurch ihr anderen Freude machen und ihnen dienen könnt.

Wir müssen das Gebet suchen und uns darum bemühen, nicht um es zu genießen, sondern um Kraft zum Dienen zu bekommen. Abgesehen von einem hilfreichen Gebet solltet ihr nicht gleich der ganzen Welt dienen wollen, sondern denen, die mit euch zusammen leben. Ihr tut so das größte Werk, da ihr ihnen verpflichtet seid.

Wer sich aber jetzt auf Grund der Akzentsetzung auf die christliche Demut in Teresa eine finstere, todernste Heilige vorstellt, der irrt. Teresa legte Wert auf Fröhlichkeit, lehnte die finstere mittelalterliche Askese ab, und ihre Briefe sind voll von Äußerungen ihres sprühenden, spontanen Humors!

Unter Demut ist also nicht ein trauriges, gedrücktes „Duckmäusertum“ zu verstehen, sondern das Streben um einegesunde Selbsterkenntnis in Ehrlichkeit und gewissenhafter Klugheit.

5. Ein Sich-Öffnen ist erforderlich

Teresa betont also die Gewissenserforschung und Erweckung der Reue zu Beginn jedes Gebetes. Durch die Sammlung findet einSich-Öffnen dem Wirken Gottes gegenüber statt, das sie in einem schönen Bild charakterisiert:

Das Gnadenhafte wird in der Ruhe geschenkt, die sich Gott öffnet wie der Kelch einer erblühenden Rose. In dieses Geöffnet-Sein kann er dann hineinwirken, kann darin „ankommen“.

6. Blick auf Leben und Leiden Jesu

Hat sich der Mensch auf diese Weise aufgetan, so gilt es jetzt, den Blick auf das Leben und Leiden Jesu zu richten,Leben und Leiden Jesu - sowie seine Auferstehung und Herrlichkeit! (Anm. der Autorin) - zu meditieren. Der innere Blick kann sonst nicht zu einem Blick liebender Anbetung und innigem Vertrauen werden, wenn nicht einzelneaffektive Akte gesetzt werden, um den Boden dafür zu bereiten. Die fundamentale Grundeinstellung wird dadurch eingeübt. Teresa meint sehr deutlich:

Wie können wir jemals zu größerer Gottesliebe entflammt werden, wenn wir nicht nachsinnen über seine Wohltaten der Schöpfung und der Erlösung?

Es ist richtig, dass wir, solange wir leben, den Herrn als Menschen vor Augen haben.

Richtet die Augen auf den Gekreuzigten, und alles wird euch leichter werden!

Die Wirkung des Heiligen Geistes, die wir dann erfahren, müssen wir uns als Geschenk vor Augen halten; ein Geschenk, das Gott wie und wann er will, gibt. Wir haben kein Anrecht darauf!
Gott möchte das unmittelbare Erfahren seiner Gegenwart allen schenken, doch machen sich nur wenige wirklich bereit für das Wirken des Heiligen Geistes. Die Antenne dafür haben alle Getauften: Die sieben Gaben des Heiligen Geistes, die heute nicht so sehr als Einzelgaben gesehen werden, sondern als „Fülle der Geistwerdung“.

7. Gefühle sind unwesentlich

Nun ist es aber so, dass der Heilige Geist nicht immer in wonniglichen Gefühlen wirkt. Wenn man das innere Gebet übt, kommen Zeiten, in denen man alles für sinnlos hält und nicht die geringste Freude dabei empfindet. Teresa sieht eine heimtückische Versuchung darin, Gefühle erzwingen zu wollen oder entmutigt aufzugeben. Sie betont:

Liebe besteht nicht im Gefühl, sondern in der Bereitschaft, Gott zu gefallen.

Gefühle sind also unwesentlich – wie ungeheuer tröstlich! Man darf sich freuen, wenn Gott Gefühle der inneren Freude und Harmonie schenkt. Es wäre aber der größte Fehler, aufzuhören mit dem Gebet, wenn gute Gefühle über längere Zeit ausbleiben. Das sind die „Trockenheiten“, von denen ja viele Heilige sprechen. Teresa ermutigt uns:

Verliere nicht den Mut, wenn du versagst. Versuche weiter zu gehen!
Dass die Seele sich damit beschäftigt, wie man Gott gefallen und ihm besser dienen könne, das heißt wirklich Beten – im Gegensatz zu jenem geistigen Behagen, das nur nach unserem Geschmack ist.

Kämen auch große Versuchungen, Trockenheiten und Trübsale über mich, so hielte ich es doch für ein gutes Gebet, wenn ich dadurch demütiger würde. Das, was Gott mehr gefällt, das ist für mich das bessere Gebet. Wie könnte man sagen, dass einer, der leidet, nicht betet? Indem er sein Leid Gott aufopfert, betet er viel besser als jener, der sich in der Einsamkeit den Kopf zermartert und glaubt, er bete, wenn er sich einige Tränen ausgepresst hat

Damit wir es noch besser begreifen und einsehen, dass alles sein Werk ist, lässt er tausend Widerwärtigkeiten zu. Gerade dann aber tritt der Erfolg ein.

Nicht der Intensitätsgrad religiöser Erfahrung ist Höchstwert, sondern stets die Agape, die Liebe, die sich erweist in gläubigem und liebendem Gehorsam Gott gegenüber und tätiger Nächstenliebe.

8. Werke der Nächstenliebe!

Und damit sind wir bereits beim nächsten Punkt: die Werke der Nächstenliebe.Gebete ohne wachsende Liebe zum Nächsten sind wertlos, da Gottes- und Nächstenliebe untrennbar zusammen gehören. Deshalb muss auch das Gebet in den Kinderschuhen stecken bleiben, wenn man sich nicht um immer größere Liebe zum Mitmenschen bemüht. Teresa lässt daran keinen Zweifel:

Ein Wachstum in der Gottesliebe ohne Wachstum in der Nächstenliebe ist nicht möglich.

Manchmal wird es sogar als Gottes Wille angesehen werden müssen, vom Gebet Abstand zu nehmen, wenn uns ein Mitmensch braucht:

Wenn du siehst, dass du einer Kranken Linderung verschaffen kannst, so lass ohne Bedenken ab von deinem Gebet, um ihr diese Linderung zu bringen. Zeige ihr Mitgefühl, nimm Anteil an ihren Schmerzen! Und wenn du dir eine Speise, deren sie bedarf, versagen müsstest, so tue es, doch nicht sosehr um ihretwillen, sondern aus dem Bewusstsein, dass Gott es haben will. Dies ist die wahre Vereinigung mit seinem Willen!

9. Vereinigung mit dem Willen Gottes

Und das ist auch das letzte Ziel des inneren Gebetes: die Vereinigung des menschlichen Willens mit dem Willen Gottes:

Das Streben nach liebender Gleichförmigkeit mit dem Willen des Vaters, mit dem gekreuzigten Herrn Jesus, und zwar mit allen Kräften und in möglichster Vollkommenheit, steht an erster Stelle.

„Wille“ ist auch für Teresa vor allem „Liebe“, ist doch das Lieben wie das Wollen ein gerichtetes Streben. Im Spanischen – wie auch in anderen Sprachen, etwa Kroatisch und Serbisch - gilt noch heute das gleiche Verb für wollen und lieben (im Spanischen „querer“). Wenn Gott eingreift, strebt der Wille nur noch zu ihm, wird von ihm geführt, bis er lernt, mit Gottes Liebe zu lieben. Dann wendet er sich auch mit ihm den Geschöpfen, den Mitmenschen und der Umwelt zu.

Der Beter erfährt immer mehr die liebende Nähe Gottes und sein eigenes Eingefügtsein in das Wirken des Heiligen Geistes.Sein Gebetsverhalten wird empfangender. Er braucht sich also nicht mehr sosehr um Sammlung und Betrachtung zu bemühen, er ist schon tiefer in die Wohnungen seiner „inneren Burg“ eingekehrt und fühlt sich Gott schon näher, wird von ihm „nach innen gezogen“.

Der Wille wird gleichsam von innen her entflammt, aus dem tiefsten „Quellgrund des Heiligen Geistes“. Mehr und mehr wird der Beter vom Bewusstsein überwältigt, dass Gott unsagbar nahe ist und ihn unermesslich liebt.

Christliche kontemplative Innenschau ist nun einmal keine Leere, sondern höchste Fülle. Damit unterscheidet sie sich wesentlich von der nichtchristlichen Mystik. Die Versenkung ist ein tiefes Verweilen in Liebe unter dem Blick Gottes und Christi.

Unsere Zeit, für die „Erfahrung“ zum großen Schlagwort wurde, ist geeignet, die Intensität und Tiefe religiöser Erfahrung als absoluten Maßstab zu setzen. In christlicher Sicht bleibt aber der betende Gehorsam dem Willen des Vaters gegenüber letzter, ausschlaggebender Höchstwert.

Ich möchte schließen mit einer Danksagung der heiligen Teresa an den geduldigen Gott, der immer da ist und darauf wartet, dass wir uns ihm und seiner Liebe öffnen, um uns reich zu beschenken.

Unendliche Güte meines Gottes!... Wer deine Nähe nicht erträgt, den erträgst du. Was für ein treuer Freund bist du ihm doch! Du beschenkst ihn, du duldest ihn, du wartest, bis er deine Art annimmt, und erträgst mittlerweilen die seine. Du rechnest ihm die Stunden hoch an, in denen er dich liebt, und wenn er bereut, vergisst du augenblicklich alles, womit er dich gekränkt hat. Ich begreife einfach nicht, warum nicht alle Welt danach verlangt, durch diese besondere Freundschaft mit dir in Verbindung zu treten.

(Irene Heise, aus: AUCH SIE SIND KIRCHE!)


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